Eine verklärte Märtyrerlegende

Mit dem 18. März hat Südtirol Josef Mayr Nusser als seligen. Diese Medaille hat wie alles zwei Seiten. Im Fall von Josef Mayr-Nusser überwiegt nicht nur dieser Tage der religiöser Aspekts seiner restriktiven Lebensentscheidung.

Mit Josef Mayr-Nusser muss man sich beschäftigen, so Bischof Ivo Muser in einem Interview, am 17. März. Ich würde sagen es bleibt eine unbequeme Gestalt, in gewisser Hinsicht eine sperrige Gestalt. […] Dass er uns in unserem Land hilft, dass wir gemeinsam hinschauen auf jenes dunkle Kapitel unserer eigenen Südtiroler Geschichte. Bischof Ivo fügte noch hinzu, und wenn wir Josef Mayer-Nusser ganz ernst nehmen, dann tun wir das nicht mit dem erhobenen Zeigefinger, aber ehrlich, konsequent und in der Haltung der Versöhnung. 

Nicht nur hinschauen auf jenes dunkle Kapitel, sondern die Geschichtsaufarbeitung sollte auch aktiv von Seiten der Amtskirche betrieben werden. Aufarbeiten ist nicht ein verurteilen, sondern ein Fakten auf den Tisch legen. Auch wenn es weh tut. Belegbare Sachverhalte analysieren und als Gesellschaft dazu stehen. Nicht totschweigen, und um es mit Franz Thaler (1925 - 2015) zu sagen: Nicht vergessen, aber verzeihen. Mitte der 1980er Jahre begann die Aufarbeitung der NS- und Faschistenzeit. Ein verdienter wegbereiten dafür ist der Meraner Leopold Steurer, welcher sich dafür Prügel von der Wehrmachtsgeneration (Josef Rampold & Co) einholte.
Steurer ging es immer um Themen, die verdrängt wurden, weil Akteure darin als TäterInnen vorgekommen sind und weil das offizielle, von Harmonie geprägte Geschichtsbild nicht in Zweifel gezogen werden sollte. (1)
Auf dem Punkt bringt es Hans Heiss – die Südtiroler Geschichtsaufarbeitung betreffend – in einem Beitrag im skolast.widerstand (2009), auf Seite 9: Erst 35 Jahre nach dem Krieg wurde Josef Mayr-Nusser [...] rehabilitiert, KZ-Häftlinge wie Franz Thaler oder die vielen Deserteure, die sich dem Kriegsdienst durch Flucht entzogen hatten, erfuhren noch später die verdiente Wertschätzung. Ihnen eignete aus der Sicht vieler Südtiroler der Makel, dass sie sich gegen „Deutsche“ gewandt und sich damit von der deutschen Volksgruppe abgewandt hatten. Bis heute erfahren sie nicht entfernt jene Sympathie, die etwa die noch nicht begnadigten „Pusterer Buben“, die sich ab 1964 mit der italienischen Polizei heftige Feuergefechte lieferten, genießen. Die Desperados des Südtirol-Terrorismus gelten vielfach als exilierte Helden und wurden 2009 von der Mehrheit des Südtiroler Landtags offiziell zu „Freiheitskämpfern“ geadelt, während einem Pusterer wie Hans Egarter nur mehr kalte Gleichgültigkeit entgegen schlägt.


Wir Südtiroler Opfer diktatorischer Regimes im 20 Jahrhundert. So sieht und lebt es das offizielle Südtirol nicht ungern. Bis heute zelebriert man die Opferrolle vortrefflich, und legen Kränze nieder. Pflegen einen fragwürdigen Heldenkult, die für Führer und Vaterland den Heldentod starben. Die vielen zivilen Opfer, die Eidverweigerer, die Deserteure, die Südtioler Partisanen [sic] oder die Sippen- und KZ-Häftlinge bleiben Außen vor beim abspielen von Ich hatte einen Kameraden. Es ist zum schämen wie einfältig unsere Gedenkkultur ist. Es wäre längst an der Zeit für ein Südtiroler Mahnmal – unabhängig der ethnischen Zughörigkeit – das an alle Opfer von Diktaturen erinnert.


So wie der Historiker Hannes Obermair am 17. März – in der Neuen Südtiroler Tageszeitung analysiert hat – greift es für mich auch zu kurz, das Leben und Wirken Mayer-Nussers nur auf religiöse Motivationen zu reduzieren. Er war ein Kind seiner Zeit, der 1944 den SS-Eid auf den Führer verweigerte. Ein solches konsequentes  Handeln – nicht nur in einer Diktatur – muss auch als ein gesellschaftspolitischer Akt – im historischen Kontext – gewertet werden.


Mayer-Nusser war im Gegensatz zu Franz Jäggerstätter (Foto oben, 1943 hingerichtet und 2007 seliggesprochen) kein reiner Wehrdienstverweigerer. Damit will die Intentionen von Mayer-Nusser nicht schmälern, sondern aufzeigen, dass es verscheide Formen des Widerstands gegen die NS-Diktatur gab. Alle die diesen Mut aufbrachten, zolle ich Respekt.


Die Mittelschule in Vintl ist seit 1985 nach Josef Mayer-Nusser benannt. Das war eine volkstumspolitische Schwergeburt. Der Gemeinderat von Vintl sprach sich gegen die Namensgebung aus. Der Schulrat und die damalige Landesregierung unter LH Silvius Magnago [sic], zeigten den Gemeindeväter aber die Rote Karte. (2) Wie tief das völkische Gedankengut verankert ist, bewies 2009 der damalige Vizebürgermeister von Bozen, Oswald Ellecosta. Für ihm ist der Tag der Befreiung nicht der 25. April 1945, sondern der Einmarsch der Deutschen Truppen am 9. September 1943. 20 Monate NS-Herrschaft (Operationszone Alpenvorland) haben mehr Tote und Leid über unser Vorfahren gebracht, als 20 Jahre Faschismus. Die damalige lokale Amtskirche hat sich nie gegen die Deportationen von Juden oder die Sippenhaft im Durchgangslager Bozen aufgelehnt. Im Gegenteil. Man hat sich arrangiert, und in den Nachkriegsjahren eine zentrale Rolle auf der Rattenlinie gespielt. Mayr-Nussers Sohn Albert Mayr bezieht klar Stellung, wie er seinen Vater im Kontext der Gegenwart sieht, und was die geschichtliche Aufarbeitung angeht.

«In Alto Adige ci fu gente che coscientemente per anni e anni ha contribuito a seminare il terrore nazista. E noi i nazisti li conoscevamo bene, erano vicini di casa.» Albert Mayr auf salto.bz: Non fermiamoci qua, vom 18. März 2017
«Bene la beatificazione, ma ora si dia dignità a tutta la Resistenza sudtirolese.»  Albert Mayr in Alto Adige online: Mio padre? Starebbe coi profughivom 18. März 2017

Und wenn aktuell bei uns im Land miterlebe was volkstumspolitisch abläuft, so kann man Parallelen zur geistigen Haltung des Völkischen Kampfringes Südtirol (VKS) ziehen. Auch zum Faschismus. Je nach ethnischen Lager in Süd-Tirol/Alto Adige. Ethnisch ist auch die Seligsprechung Mayr-Nussers. Eine fast reine deutsche Angelegenheit. Wo ist das Verbindende, welches Mayr-Nusser im Glauben vorlebte?

Die Verstärker von extremer Menschenverachtung sind Heute die sozialen Netzwerke. In diesen wird u.a. die Adolf-Hitler-Methode wieder herbeigesehnt, samt der Anleitung al muro e buttarli nel mare, aber auch An die Wand mit dem Abschaum. Die drei widerlichen Wortmeldungen sind bis Heute öffentlich in unterschiedlichen Facebook-Seite abrufbar. Die verbürgten Worte von Mayr-Nusser, am Tag vor der Verweigerung des SS-Eides auf den Führer, am 3. Oktober 1944, sind im Lichte der zitierten Kommentar aktueller denn je.
Wenn nicht einer aufsteht und ihnen sagt, dass er mit ihrer Weltanschauung nicht einverstanden ist, dann wird sich nie etwas ändern. 


Nachtrag
Auf der langen Liste von Südtiroler NS-Opfern stehen auch der Gsieser P. Johann Steinmair (1890–1944) und der Welsberger P. Johann Schwingshackl (1887-1945). Beide waren Jesuiten und wurden wegen Unterwanderung der NS-Ideologie und Wehrkraftzersetzung zum Tode verurteilt. P. Schwingshackl starb vor Vollstreckung des Urteils in der Nacht vom 27. auf den 28. Februar 1945 im Gefängnis München-Stadelheim. Und P. Steinmair wurde am 18. September 1944 in Berlin hingerichtet. Aus der Todeszelle schrieb er: Ich bin auf alles vollkommen gefasst und gehe gern schon jetzt in den Himmel, denn ich weiß, wofür ich sterbe. 


NB: Sollten in diesem Artikel Fakten nicht richtig wieder Gegeben sein, bitte mich benachrichtigen. Und den einen oder anderen Tippfehler möge man mir legasthenisch nachsehen. 
Quellen
1 Gerald Steinacher/Günther Pallaver: Leopold Steurer: Historiker zwischen Forschung und Einmischung, 2006
2 Streit um die Namensgebung der Mittelschule von Vintl. Dolomiten, 25. Februar 1985, S. 15

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